Guten Tag liebe Gemeinde,
am heutigen Sonntag bin ich nach langer Zeit mal wieder gemütlich über zwei Berliner Trödelmärkte geschlendert, und zwar zunächst an der Straße des 17. Juni, danach noch am Ostbahnhof. Gesucht habe ich nichts Konkretes, vielmehr ging es darum, das gegenwärtige Handelsgeschehen, natürlich insbesondere im Briefmarkenbereich, mitzubekommen.
Folgendes ist mir aufgefallen:
- es gibt nur noch wenige professionelle Händler, die Briefmarken auf Trödelmärkten anbieten. Auf dem größten Trödelmarkt Berlins an der Straße des 17. Juni konnte ich gerade mal zwei von ihnen finden
- es werden vor allem Postkarten und deutsche Massenware angeboten, gerne auch gleich als komplettes Album (in dem natürlich keine einzige Spitze vorhanden ist)
- während der Zeit, die ich netto an den wenigen Ständen der Briefmarkenhändler verbracht habe, waren neben mir meist nur ein bis zwei weitere potentielle Kunden am Stand, oft war ich mit den Händlern allein (was ab und zu Gelegenheit für ein kleines Gespräch bot)
Nun zu den pikanten Details:
Ich habe natürlich auch nach Stücken zu meinen Sammelgebieten gefragt, konkret z.B. nach gestempelten Kleinwerten der altdeutschen Staaten (Baden #23, #24, Hamburg #10 usw.) Schnell wurden die entsprechenden Alben rausgeholt und ich durfte darin blättern. Was ich jedoch zu Gesicht bekam, habe ich nicht verstanden: Sogar die altdeutschen Kleinstwerte waren, neben der Standardware, in einem jämmerlichen Zustand: kurze Zähne, angeschnitten, unleserlich gestempelt. Die Preise für diese Ware lag im Schnitt bei 50% vom Michel. Eine schön gestempelte, durchschnittlich gezähnte Baden #24 sollte 250% vom Michelpreis kosten. Ich möchte weitere Angebote, die mein Unverständnis verdeutlichen sollen, vorstellen:
- Preußen #1, lose, völlig ohne Rand, Bleisulfidschaden, unsauber gestempelt für 27.-€
- Württemberg #1, lose , dreiseitig angeschnitten für 55.-€
- Hamburg #8a (angeblich die teure Farbe: 1200.-M€), lose, mit einer primitiven Kreisobersegment-Stempelfälschung für 240.-€ (daneben noch ein Schildchen: seltener Stempel :D)
Dem Anbieter der letztgenannten Marke habe ich erst gar nicht gesagt, daß seine Hamburg-Marke einen Falschstempel einer Stempeltype trägt, welche erst mit der Reichspost Ende des 19.Jahrhunderts eingeführt wurde. Als ich das Album aus der Hand legte und er verdutzt fragte "Nichts dabei?" antwortete ich nur "das Preisniveau ist für diese Marken recht hoch", worauf er ein wenig beleidigt schien.
Ich fasse mal meine Eindrücke zusammen: auf den beiden Trödelmärkten wird im Bereich Altdeutschland durchweg unterdurchschnittlich erhaltende Ware (meist Knochen) zu völlig überzogenen Preisen angeboten. Die Händler sind zwar größtenteils freundlich, allerdings nur, solange man ihre Angebote unkritisch "einfach toll" findet. Es gibt kaum Kunden. Ich habe heute an den verschiedenen Ständen keinen einzigen Verkauf (!) beobachten können, nicht einmal für Massenware. Aprospos Massenware: was hier im Forum den Erben von Opa's Abosammlung BRD gesagt wird ("nix wert"), gibt's auf dem Trödelmarkt für 120.-€
Fazit: ich habe keine Lust bei Händlern einzukaufen, die ihre Kunden für bescheuert halten. Für altdeutsche Klassik zahle ich gerne 50% bis über 100% vom Katalog, dann muss aber auch die Qualität stimmen. Die Knochen vom Trödelmarkt findet man auch auf Ebay, allerdings dort für etwa 5% vom Michel. Was veranlasst die Händler eigentlich, Ihre ware zu diesen Preisen anzubieten? Es gibt offensichtlich keine Kunden! Ich kann Neueinsteiger im Briefmarkenbereich nur davor warnen, dort einzukaufen.
Dieser Erlebnisbericht spiegelt lediglich meine subjektiven Eindrücke wider, welche zudem eine Momentaufnahme der Situation auf ausgewählten Trödelmärkten sind. Mir ist auch bewusst, dass sich die Situation in anderen Sammelgebieten, wahrscheinlich insbesondere bei Briefen/Postkarten, ganz anders (positiver) darstellen könnte.
Wie sind Eure Erfahrungen?
Es grüßt
Harald