Mit grossem Interesse habe ich die bisherigen Beiträge gelesen, sie decken sich in weiten Bereichen mit meinen Problemen, denn ich bin Vereinsvorsitzender in einer Stadt mit 35.000 Einwohnern. Einfach einmal einige Gedanken zur Diskussion gestellt:
1. Vereinsfunktionär
Mit 12 Jahren Sammler, mit 26 engagiertes Vereinsmitglied, mit 45 Vereinsvorsitzender. Aus meiner Sicht eine normale Karriere. Aus Sicht der Verbandsphilatelie fürchterlich: Man ist zu jung, hat keine Rang1-Ausstellungssammlung, man bringt Unruhe in den Laden, man stellt unbequeme Fragen, man wird als Querulant oder Nestbeschmutzer tituliert, kurz gesagt, man ist nicht ins System eingebunden.
Im Verhältnis zum Verein: Man wartet nicht ab, bis sich die Mitgliederzahl aus biologischen oder sonstigen Gründen auf Null reduziert hat (und hadert mit der Post, der Biologie oder der Welt), sondern man unternimmt etwas. Schaut sich also mal das Umfeld an und fragt sich, wo sich eigentlich ein Verein positionieren muss: Es gibt Philatelisten, die 60.000€ für eine Marke bezahlen und das als Schnäppchen bezeichnen, Deutsche Kolonien komplett und spezialisiert. Ehrlich, was soll der in unserem Verein finden ? Zweite Gruppe: Abonnenten bei Versandstelle oder Händler. Die haben alles komplett im Vordruck-Album, sind extrem beratungsresistent (sie würden ja sonst zugeben, dass ihr ETB-Abos Geldvernichtung waren), also auch keine potentiellen Vereinsmitglieder. Bleiben eigentlich nur noch die Gelegenheitssammler, die man auf Flohmärkten oder auf Tauschtagen trifft. Und genau an dieser Stelle muss sich der Vorstand eines Vereines ungeheuer engagieren, oder wir haben die Situation, wie in einigen der obigen Beiträge beschrieben: Der Spezialist für irgendein Gebiet, egal ob Baden oder Schlittenpost der Eskimos muss sich im Verein genauso gut fühlen wie der Motivsammler oder Kilowarenablöser. Also ein Umfeld zur Verfügung stellen, Gelegenheit zum Austausch bieten, Bibliothek bereithalten. Und, auch da ist man gefordert, Information geben. Sorry, wenn ich die Überheblichkeit und Hochnäsigkeit der offiziellen Philatelie sehe, dann kommt mir die Galle hoch. Die sollen sich endlich einmal auf ihre eigenen Wurzeln besinnen. Wenn ich mir die Realität ansehe, nämlich die Vereinsmitglieder, die damals als Bildchensammler ernst genommen wurden, und im Laufe der Jahre zu einer Ausstellungssammlung geführt wurden, dann bin ich als Funktionsträger stolz. Da, wo wir mit unseren Möglichkeiten nicht mehr weiterkommen, empfehlen wir die Philatelistische Akademie oder den Beitritt zur Arge.
2. Jugendarbeit
Jugendarbeit der offiziellen Philatelie ist herrlich, wenn man sie sich einmal in Ruhe anschaut. Sonntagsreden ("Die Jugend ist unsere Zukunft, die Jugendarbeit muss höchste Aufmerksamkeit erhalten“), Küngeleien, Eifersüchteleien (man sehe sich nur einmal in gewissen Foren die Beiträge zum Thema Jugend an), praktischer Nutzen: Keiner. Oder kann mir jemand erklären, wie, wo, warum wir als Verein unsere 22 aktiven Jugendlichen in irgendwelchen Landesringen, Deutscher Philatelistenjugend oder sonstwo anmelden sollen ? Wir führen derzeit einen Abwehrkampf gegen mehr Jugendliche, für zwei freigewordene Plätze haben wir etliche Bewerbungen, wir könnten umgehend aus 22 Jugendlichen 80 machen, wenn wir die personellen Kapazitäten hätten. Das ist oben bekannt, doch bisher hat es nicht einmal eine Reaktion gegeben, wenn wir unser Konzept denen da oben vorgestellt haben.
3. Gemütlichkeit
In einigen der bisherigen Beiträgen wurden bereits Ausführungen zu einigen Stichworten gebracht (Weihnachtsfeier, Kartenspiel). Aber gehört das nicht auch als m.E. wichtiger Bestandteil in einen Verein ? Man hat Streß im Beruf, man will mal in Ruhe sein Bierchen trinken und einen anrüchigen Witz hören, man will einfach mal raus aus seiner Bude. Die Gründe sind doch eigentlich sehr vielfältig, in einen Verein zu gehen. Die Resultate sieht man im Laufe der Jahre: Es haben sich viele persönliche Freundschaften gebildet. Meine (gelebte) Theorie ist, dass ein Verein zwei gleichberechtige Bestandteile haben muss: a) den fachlichen Teil (Hilfsmittel, Rat, Literatur, Hilfe beim Sammlungsaufbau etc.) und b) den gesellschaftlichen Teil. Realität ist, dass der Tauschabend trotz drei Spielen bei der Fussball-Weltmeisterschaft gut besucht war.
4. Verkauf
Ein Verein muß sich nach innen und nach aussen verkaufen, offensichtlich scheint das in vielen Fällen nicht zu gelingen, denn sonst wären die Interessenten nicht so enttäuscht dem örtlichen Verein ferngeblieben. Zum Verkauf gehört nun einmal wesentlich mehr als die Aushändigung eines Werbezettels: Wir haben einen Internet-Auftritt, der mehr Besucher anzieht als unser Landesverband, wir haben oftmals Berichte in der Zeitung bis hin zur halben Seite, zu unseren Vereinsrundschreiben kommen Nachdruck-Anfragen aus ganz Deutschland. Und am 3.11. wird in unserem Ort ein Briefmarkenladen eröffnet.
So, eigentlich wollte ich hier kein Buch über deutsche Vereinsmeierei schreiben, sondern zum Ausdruck bringen, dass ich den Frust in einigen Forum-Beiträgen verstehe, und ich wollte einmal ganz ganz leise darauf hinweisen, dass man vielleicht auch mal ein kleines bischen Verständnis für den Vereinsfunktionär haben möge. Es ist zwar ein elendiger Job mit einer hohen Scheidungsanfälligkeit, aber wäre es in der Vergangenheit ohne diese Idealisten gegangen ? Und wie würde die Zukunft ohne sie aussehen ?