Habe einen Artikel in der Samstagausgabe der Badischen Zeitung in Freiburg gefunden vielleicht interessiert es ja jemanden:
Die Nachwuchsarbeit in den Philatelistenvereinen gestaltet sich entsprechend schwierig. Zu einem Tag der jungen Briefmarkenfreunde in Freiburg kamen kürzlich nur wenige Besucher. Und die meisten, die dort für ihr Hobby warben, hätten die Großväter derer sein können, die eigentlich angesprochen werden sollten. Es wird geschätzt, dass die sammelnde Jugend des Deutschen Philatelistenverbandes in den vergangenen 20 Jahren um ein Drittel geschrumpft ist. In der Region „Südwest“ (Baden-Württemberg und die Pfalz) jedenfalls sammelten vor 20 Jahren noch 1600 Kinder und Jugendliche. Jetzt sind es nur noch 550. Seit April ist Bernd Leßoing Vorsitzender der Philateliejugend Südwest. Mit 38 Jahren ist er ein junger Hüpfer in der Zunft. Der älteste Südwest-Jungphilatelist ist 75 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der „Jungen“ liegt bei Mitte 50. „Das ist deprimierend“ sagt Leßoing.
Mit dem allmählichen Wegsterben der Philatelisten sieht er auch seine berufliche Felle wegschwimmen. Ein Überangebot an Marken überschwemmt den Markt, Käufer fehlen, das drückt die Preise – und die Gewinne. Die Briefmarke als Spekulationsobjekt, auch „Aktie des kleinen Mannes“ genannt, hat ausgedient. Wertsteigerungen ist heute kaum mehr möglich. Reich werden kann man als freier Philatelist nur noch, wenn in einer achtlos verscherbelten Sammlung der Megafund schlummert.
Das unspektakulär wirkende Hobby schafft es kaum noch, die Jugend vom Fernseher oder Computer wegzulocken. Dabei, so propagiert Elmar Dichtel, Leiter der einzigen Jugendgruppe in Freiburg, sei der Lerneffekt des Sammeln groß. Denn wenn die elft Kinder und Jugendlichen der Jugendgruppe der Briefmarkenvereins „Zenith 1930 e.V.“ sich treffen, lösen sie die Marken nicht einfach und stecken sie in ein Album. Sie lernen, wie man mit dem Material umgeht und wie man eine Sammlung inhaltlich aufbaut, um sie bei Ausstellungen zu präsentieren. „Das, Was man Allgemeinbildung nennt, habe ich durch die Briefmarken gelernt“ sagt Leßoing.
Briefmarkensammler sind Autisten. Sagt Bernd Leßoing. Ihre Welt dreht sich um den Planet „Briefmarke“. Sie wühlen sich tagelang durch Messen, Kataloge, setzen weltweit Hebel in Bewegung um die Klasse in der Masse zu finden. In seinem Gebiet ist der Philatelist ein wandelndes Lexikon. Jagt einer der „Postgeschichte von Palästina“ hinterher, späht er nicht nur aus nach den Marken, sondern wälzt Geschichtsbücher, sammelt Zeitungsartikel, kennt die innen – und außenpolitische Entwicklung., sagt Leßoing. So viele Motive es gibt – von Affen, Butter, Circus bis Xanthippe, Yokohama oder Ziegen – so viele Experten gibt es auch. Die Sammelgebiete sind die persönlichen Vorlieben angepasst: Muppet -Show Freaks sammeln Kermit und Miss Piggy, Vampirfans lechzen nach Blutsaugermarken.
Das Fachwissen, das dich die Philatelisten aneignen, ist aber nicht nur selbstlose Leidenschaft, es ist auch harter Wettbewerb: Wer bei Meisterschaften Preise holen will, muss sich schlau machen. Ein titelverdächtiges Exponat ist laut Leßoing nämlich nur, was attraktiv zusammengestellt und gut recherchiert ist, beschriftet mit Fakten zur Marke un deren Hintergrundgeschichte – am Schluss kommt so etwas wie ein Briefmarken-Comicstrip dabei heraus. Ein Leuchtturm-Exponat lehrt den Betrachter beispielsweise, wo Türme stehen, wann sie erfunden wurden, wie viele noch in Betrieb sind. Ein Qualitätskriterium eines Exponates ist „Alle Zeit und alle Welt“: Also zum Beispiel Leuchttürme aus aller Welt, neue und alte Türme und neue und alte Marken oder Stempel. Nur der informativste und schönste „Briefmarkencomic“ hat Siegerchancen.
Nicht jeder, der sammelt, stellt auch aus. Geeint wird die Sammelgemeinde, allerdings durch den Jagdinstinkt. Die Sucht nach dem Adrenalin in der Sekunde der Entdeckung. Bernd
Leßoing schätzt, dass in Deutschland rund 80 000 Sammler den Papierschnipseln hinterherjagen. Viele von Ihnen sammeln inkognito. Denn wer viel Geld und Zeit für einen scheinbar geringen Gegenwert investiert, wird leicht für verrückt und verantwortungslos gehalten. „Für einen Fetzen Papier Millionen zahlen. Rational ist das natürlich nicht verständlich“, meint Leßoing. Verrückt ist auch die Bandbreite an Reaktionen bei Funden, die er bereits erlebt hat: von hysterisch bis apathisch. Für eine anvisierte Marke gehen Sammler schon mal über Leichen. Der Franzose Gaston Leroux war Besitzer einer seltenen hawaiianischen „2 Cent-Missionars-Marke“. Er wurde vor mehr als einhundert Jahren in seiner Wohnung ermordet. Die Marke wurde später bei einem Sammlerkollegen gefunden, der den Mord gestand: „Ohne die Hawaii konnte ich nicht leben.“ Sammeln kann also zur Todesgefahr werden. Für Bernd Leßoing und seine Freunde bedeutet es das Leben. Sie alle sammeln. Heißt das umgekehrt, nur Sammler halten es mit Sammlern aus? Leßoing schüttelt lachend seine Haare und bekräftigt. „Stimmt. Das ist so ein abgespacetes Hobby.“ Leßoing findet einen passenden Vergleich für die Freundschaft unter Sammler: „Das ist wie bei „Karlsson auf dem Dach“: Wir akzeptieren einfach gegenseitig unsere komischen Propeller.“
Angehörige fangen entweder an, selbst zu sammeln, trenne sich oder beginnen einen ehelichen Krieg. Die Erlösung kommt manchmal erst mit dem Ableben des Sammlers, so Leßoing: „Kaum ist die Todesanzeige gedruckt, landet der Inhalt des Briefmarkezimmers im Container. Alles schon erlebt.“
Die Begeisterung für Briefmarken als Sammelobjekte kam schon kurz nach ihrer Erfindung auf. Als Vater der Briefmarke gilt Sir Rowland Hill, der wahrscheinlich den Vorschlag eines schottischen Buchhändlers aufgriff und als Grundlage seiner Reform des britischen Postwesens nutzte. Die erste aufklebbare Marke wurde 1840 nach Hills Vorschlägen in Großbritannien herausgegeben. Für das Motiv wurden mehrere tausend Vorschläge eingereicht, doch Hill kopierte das Porträt der Königen Victoria von einer Gedenkmünze. Die Idee wurde in anderen Länder rasch aufgegriffen, die erste deutsche Marke war der Schwarze Einser, der 1849 in Bayern erschien. Die ersten Postwertzeichen des Großherzogtums Baden wurden 1851 herausgegeben. Nur neun Jahre danach gab es die ersten Briefmarkenalben zu kaufen, ein Jahr später wurde der Vorläufer des heutigen Briefmarkenkatalogs herausgegeben. Die Bezeichnung Philatelist („Freund dessen, was steuerfrei von Staatslasten ist“) bezieht sich im eigentlichen Sinn nur auf gestempelte Marken, da der Poststempel den Absender von weiteren Abgaben befreite. Heute sammeln Philatelisten alles: gestempelte oder postfrische Marken, Ersttagstempel, Umschläge mit interessanten Frankaturen, Paketkarten oder Telegrammschmuckblätter.
Bernd Leßoing nennt Briefmarkensammler „Papier-Messies“, die habenhabenhaben“ wollen. Kunden aus der ganzen Welt melden sich bei ihm, suchen bestimmte Marken wollen Ihre Sammlung zur Auktion geben. Zum Höchstpreis natürlich. Leßoing glaubt, dass der durchschnittlich betuchte Sammler etwa Euro 100,00 monatlich für Marken ausgibt. Bevor die Sammlungen unter den Hammer kommen, schätzt Leßoing sie nach Kriterien wie Seltenheit, Vollständigkeit und Alter, aber letztendlich legt die Emotion den Preis fest: Wer versessen ist auf ein haitianische Marke, wird sich die karibische Liebe einiges kosten lassen. Für die anderen Sammler bleibt sie – emotional jedenfalls – mehr oder weniger wertloses Papier
Deshalb gibt es auch nicht die Eine, die jeder haben muss – auch wenn der monetäre Mythos der berühmten „Mauritius“ sich in den Köpfen der Laien festgesetzt hat. Zur Legende wurde die Inselmarke, von der 1847 jeweils 500 rote und blaue gedruckt wurden, weil sie philatelistisch einfach vergessen worden ist. 1870 als reiche Sammler von ihrer Existenz
erfuhren, boten sie für damalige Verhältnisse so horrende Summen dafür, dass Zeitungen darüber berichteten. Die fieberhafte Suche nach der Mauritius setzt sich bis heute fort, ist allerdings fast hoffnungslos geworden: 15 blaue und zwölf rote Marken sind bekannt, die meisten gehören Stiftungen und Museen. Die anderen dürften zerstört sein. Würde allerdings eine Mauritius wieder auf den Markt kommen, schätzen Experten einen Verkaufspreis von einer Million Euro aufwärts – je nach Suchtdruck der Sammler.
Das sind Summen, die Bernd Leßoing nicht mehr erschrecken. Der Untergang der Briefmarke und der Philatelie erschreckt ihn dagegen schon. Aber dann schüttelt er wieder seine Haare und grinst. Wenn Briefmarken ihr Frankier-Revier an Strichcodes abtreten müssen, setzt er auf den Sammlertrieb: Dann sammeln wir eben Strichcodes. Sammeln kann man ja bekanntlich alles.
Das Philaforum ist ein ideales Medium um an junge Menschen heranzukommen. Es gibt Einblick in das gesamte Spektrum mit allen Aspekten der Philatelie.
Thomas